Verspäteter Kaiserschnitt als Behandlungsfehler
Zu den größten Herausforderungen im Arzthaftungsrecht gehört die Durchsetzung von Ansprüchen nach einem Geburtsschaden. Hier benötigen die betroffenen Familien eine kompetente anwaltliche Unterstützung, die oft über die Geltendmachung von Schmerzensgeld und anderen Schadenspositionen hinausgeht. Vor allem aber geht es darum, den Haftpflichtversicherungen der an der Geburt beteiligten Kliniken, Ärzte und Hebammen ein Haftungsanerkenntnis abzuringen. Deren Widerstand ist in der Regel beträchtlich, sind doch damit oft sehr hohe finanzielle Verpflichtungen für den Versicherer verbunden. Dem Fachanwalt für Medizinrecht hilft dabei neben einschlägigen Erfahrungen und Fortbildungen auch das Studium veröffentlichter Gerichtsentscheidungen.
Besonders häufig müssen sich Gerichte in diesem Zusammenhang mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass die verantwortlichen Ärzte bei einem Geburtsstillstand zu spät die Kaiserschnittentbindung (sog. Sectio) angeordnet hätten. So hat beispielsweise das OLG Hamm (Urteil vom 04.04.2017, 26 U 88/16) bei pathologischem CTG und fehlender Möglichkeit einer Blutgasanalyse von den Ärzten gefordert, dass eine lückenlose CTG-Überwachung und ärztliche Präsenz durchgeführt wird, um Gewissheit über die gesundheitlichen Verhältnisse des Kindes zu haben. Außerdem hätte nach einem weiteren pathologischen CTG eine Not-Sectio erfolgen müssen, bei der zwischen Entscheidung und Entbindung nur 20 Minuten vergehen dürfen (sog. E-E-Zeit). Das Gericht hat die ärztlichen Fehler als grobe Behandlungsfehler eingestuft und dem Kind für die durch eine Hirnschädigung verursachte Entwicklungsstörung ein Schmerzensgeld von 250.000,-- Euro zugesprochen. Der Kampf hat sich also gelohnt!
Über einen ähnlichen Sachverhalt hatte auch das OLG Bamberg zu entscheiden (Urteil vom 19.09.2016, 4 U 38/15). Auch dort hätte bei pathologischem CTG eine Not-Sectio eingeleitet werden müssen. Zudem wurde den Ärzten vorgeworfen, währen der Geburt keine Mikroblutuntersuchung am Kind vorgenommen zu haben. Durch diese Blutgasanalyse hätte man nämlich die Sauerstoffunterversorgung des Kindes erkennen können und dann sofort mit einem Not-Kaiserschnitt reagieren müssen. Statt dessen hat das Kind durch den Sauerstoffmangel einen Hirnschaden mit lebenslangen schweren Behinderungen erlitten. Das Gericht hat dem Kind ein Schmerzensgeld von 350.000,-- Euro zugesprochen.
Die besprochenen Entscheidungen zeigen, dass es sich lohnt, bei Geburtsschäden für die Rechte der Kinder zu kämpfen. Dabei stehen die oft beträchtlichen Schmerzensgelder nicht einmal im Vordergrund. Entscheidend ist, dass die Versicherungen daneben auch alle Pflegeaufwendungen und Betreuungskosten zu übernehmen und lebenslang die wirtschaftlichen Nachteile des Kindes auszugleichen haben.
Urs Früh
Fachanwalt für Medizinrecht